Für immer im Hinterkopf - Erinnerungen an Uwe Seeler

Eine der größten Legenden des deutschen Fußballs ist von uns gegangen. Uwe Seeler bleibt unvergessen, nicht nur als einer der besten Mittelstürmer aller Zeiten, sondern vor allem auch als ein großartiger Mensch.

In der HALL OF FAME des deutschen Fußballs im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund geben sich Welt- und Europameister sozusagen die Türklinke in die Hand. Uwe Seeler bildet da eine Ausnahme. Als einer der wenigen aus der in der Ruhmeshalle ansässigen „Ersten Elf“ konnte er keinen dieser großen Titel erringen. Dennoch wurde kaum einem anderen Spieler seit jeher so viel uneingeschränkte Zuneigung seitens der Öffentlichkeit zuteil wie der Ikone des Hamburger SV. „Uns Uwes“ berühmtester Treffer liefert alle Anhaltspunkte für seine besonderen Popularitätswerte.

Die Besucher im Deutschen Fußballmuseum können diesen magischen Moment der Fußballgeschichte auf einem überdimensionalen Monitor noch einmal hautnah miterleben. Auch in Zeitlupe. Sie sehen, wie Linksverteidiger Karl-Heinz Schnellinger in der 76. Minute des WM-Viertelfinals 1970 Deutschland gegen England beim Stand von 1:2 den Ball in den gegnerischen Strafraum schlägt. Die Vorlage gerät eigentlich etwas zu lang für die lauernden Stürmer Gerd Müller und Uwe Seeler. Letzterer fokussiert das Spielgerät, sieht, dass er sich noch einige Meter vom Tor wegbewegen muss, um noch eine Chance zu haben, an den Ball zu gelangen. Kurz bevor die Kugel ins Toraus zu segeln droht, schraubt sich der Hamburger mit letzter Kraft in die Höhe. Was jetzt kommt, ist purer Torjägerinstinkt: Mit der Stirn zu köpfen, macht keinen Sinn - der Ball würde aus der Gefahrenzone katapultiert. Statt der lehrbuchmäßigen Lösung bleibt nur eine pragmatische. Mit dem Rücken zum Tor ahnt Seeler, dass Englands Keeper Peter Bonetti das kurze Eck abdeckt. Von seinem direkten Gegenspieler bedrängt, kippt der damals 33-Jährige sein schon etwas lichtes Haupt im Fallen kurz nach hinten und gibt dem Ball dadurch den entscheidenden Impuls, so dass er sich als Bogenlampe ins lange Eck des englischen Tores senkt.    
Seit diesem Moment erhält jeder Treffer, der auf ähnliche Art erzielt wird, den Zusatzkommentar: „Wie einst Uwe Seeler“. Ein Tor wie ein Kunstwerk und in seiner Entstehung quasi ein Portrait der Stürmerlegende. Es versinnbildlicht alle Eigenschaften, die den Fußballer und Menschen Seeler ausmachten:

Kämpferisch: 1:2-Rückstand – da muss doch noch was gehen! Den Kopf in den Sand zu stecken, war nicht Seelers Ding. Eine kurze Ansprache seines Vaters daheim am Küchentisch, wurde für den jungen Uwe zum Leitmotiv. „Weicheier will ich hier zu Hause nicht haben!“ ließ Seeler Senior damals verlauten. So entwickelt Seeler eine Kämpfernatur. Auf und neben dem Platz. Mit großer Willensstärke erwehrte er sich der häufig unerbittlichen, nicht immer fairen Manndeckung seiner Gegenspieler und einer schlimmen Verletzung, die er sich jedoch ohne Fremdeinwirkung zuzog. Ein Achillessehnenriss setzte ihn im Februar 1965 außer Gefecht. Aber nur vorübergehend, obwohl eine solche Diagnose seinerzeit eigentlich das Karriereende bedeutete. Doch Seeler gab nicht auf. Bereits nach vier Monaten feierte er sein Comeback und trug bei seiner Rückkehr in die Nationalmannschaft maßgeblich zur Qualifikation für die WM 1966 in England bei. Und als ihn später so mancher für die Teilnahme an der WM 1970 für zu alt befand und fürchtete, er könne die Kreise des jungen Gerd Müller stören, bot er seinen Kritikern die Stirn und letztendlich auch noch den Hinterkopf.

Akrobatisch: Seinen Spitznamen „Kleiner Dicker“, der ihm sich auf Grund seiner überschaubaren Körperlänge von 1,69 m und der gedrungenen Statue zuteilwurde, nahm Seeler immer mit Humor. Als Spieler machte er aus der scheinbaren körperlichen Unterlegenheit eine Tugend. Dort, wo viele Abwehrspieler auf halber Höhe zuweilen ungelenk mit den Füßen agierten, rauschte ihnen der unerschrockene Mittelstürmer in die Parade – mit dem Kopf voran. Waagerecht in der Luft liegend den Torabschluss zu suchen, wurde zu seiner großen Spezialität. Außer mit Flugkopfbällen war er auch immer wieder mit spektakulären Seitfallziehern erfolgreich. Nur einmal verlor er in gewisser Weise seine Körperspannung. Doch selbst als er mit hängenden Schultern und den Kopf nach unten gesenkt nach dem verlorenen WM-Endspiel 1966 das Spielfeld des Londoner Wembley-Stadions verließ, schuf er einen unvergessenen Moment der Fußballgeschichte. Das Bild des niedergeschlagenen und traurigen Kapitäns der deutschen Nationalmannschaft wurde zum Sportfoto des Jahrhunderts gewählt.

Ehrgeizig: Auch wenn der Gewinn der Vizeweltmeisterschaft Seelers größten internationalen Erfolg darstellt, hinterließ die unglückliche Niederlage gegen England eine offene Wunde, die sich nur durch eine erfolgreiche Revanche schließen ließ. „Ihr habt keine Chance. Heute ist unser Wembley", soll er vor dem WM-Viertelfinale 1970 in den Katakomben des Estadio Guanajuato im mexikanischen Léon seinem englischen Gegenpart Geoffrey Hurst zugeraunt haben. Jenem Geoffrey Hurst, der mit seinem legendären „Wembley-Tor“ vier Jahre zuvor die Final-Niederlage der Deutschen eingeleitet hatte. Seeler hielt Wort. Und setzte überdies Hursts Jahrhunderttor sein eigenes entgegen. 

Vorbildlich: Nicht zuletzt auf Grund seiner herausragenden Leistungen bei der WM in Mexiko erhielt Uwe Seeler wenige Wochen nach dem Turnier als erster Sportler überhaupt das Große Bundesverdienstkreuz. Neben seinem unermüdlichen Einsatz auf dem Spielfeld fanden dabei seine Bodenständigkeit, sein stets bescheidenes und faires Auftreten sowie seine Konstanz auf hohem Niveau eine besondere Würdigung. Mit 21 WM-Einsätzen, 43 Toren in 72 Länderspielen und vier Weltmeisterschafts-Teilnahmen, bei denen er jeweils als Torschütze in Erscheinung trat, hatte er damals mehrere beeindruckende Rekordmarken inne.

Der deutsche Fußball hat schon viele Stars hervorgebracht, aber nur ganz wenige Idole wie Uwe Seeler. Einige Exponate wie das Bundesverdienstkreuz, die ehrenhalber verliehene kicker-Torjägerkanone oder auch das Sportfoto des Jahrhunderts erinnern im Deutschen Fußballmuseum an seine herausragende Karriere und einen großartigen Menschen. Er bleibt unvergessen – ist doch klar: Einen wie ihn behält man einfach immer im Hinterkopf.

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