Felix Löwenstein

Geboren am 21.08.1884 in Eisleben, Deutschland
Gestorben am 30.04.1945 in KZ Sandbostel
Funktionär

Felix Löwenstein war ein Osnabrücker Viehhändler und Engros-Schlachtermeister. Er wurde am 21. August 1884 in Eisleben geboren. Gewohnt hat er zuletzt am Adolf-Hitler-Platz, dem vormaligen und auch heutigen Neumarkt, Hausnummer 4. Dort befindet sich inzwischen ein sogenannter „Stolperstein“, der an den ehemaligen Mitbürger erinnert.

In seinem Beruf galt er über viele Jahre hinweg als recht erfolgreich. Sein Freundes- und Bekanntenkreis war beachtlich. Auch die Zahl der Menschen, denen er Geschenke, großzügig Zuwendungen oder günstige Kredite gewährte, war groß. Löwenstein war Mitglied der Synagogengemeinde, seine Frau Anni evangelisch-lutherisch. Der gemeinsame Sohn Max wurde evangelisch getauft. Anni zählte bis zu deren Verbot 1933 zur pazifistischen Deutschen Friedensgesellschaft, was durchaus Rückschlüsse auf eine sehr friedliebende und demokratische Gesinnung zulässt, welche offenkundig die gesamte Familie Löwenstein prägte.

Felix Löwenstein war vor allem sportbegeistert. Mitte der 20er Jahre stieß er zum Verein Spiel und Sport. Der wiederum war 1924 aus dem nationalistisch und rassistisch ausgerichteten Osnabrücker Turnverein (OTV) hinausgedrängt worden und bestand zu 90% aus Demokraten und solchen, die sich nicht für vom OTV eingeforderte nationalistische Aufmärsche missbrauchen lassen wollten. 1924 vereinigte sich Spiel und Sport mit dem Ballspielverein von 1899. Ein Jahr später zählten Ernst Sievers wie Felix Löwenstein zu den Pionieren jenes vereinigten Clubs, der sich fortan VfL Osnabrück nannte.

Löwenstein, der es nach großem beruflichem Erfolg zu einigem Vermögen gebracht hatte, diente dem VfL von Beginn an sowohl als großzügiger Spender wie auch in aktiven Funktionen. Folgt man Jürgen Bitters im Jahre 1991 erschienenen Fußballgeschichte des VfL Osnabrück, war der Schlachtermeister, zumindest vor der Machtergreifung der Nazis, überaus tatkräftig im Club engagiert. Er diente ihm vor allem als Spielausschussobmann. Diese Position war für den VfL tatsächlich nicht weniger wichtig als Löwensteins finanziellen und sachlichen Zuwendungen. In seiner sportlichen Funktion half er nämlich entscheidend dabei mit, den alltäglichen Spiel- und Trainingsbetrieb zu organisieren. Er diente als vertrauensvoller Ansprechpartner aller Spieler und arbeitete aktiv mit dem jeweiligen Trainer zusammen. Es gab somit viel zu tun, zumal das sportliche Niveau der Punktspiele bereits ab Mitte der 20er Jahre beachtlich war und zunehmend Zuschauer anzog. Immerhin maß sich der neu auftretende VfL in der westfälischen Gauliga bzw. Bezirksliga schon damals regelmäßig mit Mannschaften wie Arminia Bielefeld oder Preußen Münster.

Dr. Hermann Gösmann, 1933 „Vereinsführer“ des VfL, seit 1937 NSDAP-Mitglied, nach dem 2. Weltkrieg erneut Vorsitzender und später DFB-Präsident, bestätigte nach dem Kriege in Form eines Briefes an Max Löwenstein, dass dessen Vater aktiver VfL-Unterstützer gewesen sei. Er habe den Verein allerdings – nach Gösmanns Erinnerung – im Jahre 1935 allein wegen seiner jüdischen Religionszugehörigkeit verlassen müssen.

Die Repressalien gegen Juden und Andersdenkende hatten bereits seit der NS-„Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 stetig zugenommen. Ebenfalls um 1935 herum hatte Löwenstein aus „Arisierungsgründen“ seinen Betrieb komplett und ohne nennenswerte Entschädigung verloren. Er blieb danach lange arbeitslos und musste sich später als Bauhilfsarbeiter bei verschiedenen Firmen durchschlagen. Hinzu kam der erzwungene Umzug im gleichen Hause. Die Familie musste in der großräumigen Wohnung packen, was mitzunehmen war und in eine Dachgeschoßwohnung umzuziehen. Doch es blieb nicht bei dem Verlust von Betrieb und heimischer Wohnung. Am 10. November 1938, exakt einen Tag nach der Vernichtung der deutschen Synagogen und der brutalen Verwüstung jüdischer Geschäftshäuser durch SA-Kolonnen, traf Löwenstein seine erste Verhaftung. Nach Verhören und Quälereien im Gestapo-Keller, der im Westflügel des Schlosses untergebracht war, deportierten ihn die Nazi-Schergen gemeinsam mit rund 90 weiteren Osnabrückern jüdischer Religionszugehörigkeit erstmals in das KZ Buchenwald bei Weimar.

Zumal Löwenstein mit einer „arischen“ Protestantin in einer „Mischehe“ verheiratet war, wurde er – auch als früherer Teilnehmer am Ersten Weltkrieg und Träger des wegen Tapferkeit verliehenen Eisernen Kreuzes – zunächst ein wenig besser als andere behandelt. Mitte Dezember, nach knapp fünf Wochen Haft, entließen ihn die SS-Bewacher bereits wieder aus Buchenwald. Die „Mischehe“ konnte ihn auch in den Folgejahren vor einer weiteren Inhaftierung oder Deportation schützen.

Für die gesamte NS-Zeit belegen spätere Aussagen von Sohn Max Löwenstein, dass VfL-„Vereinsführer“ Hermann Gösmann dem früheren Vereinskameraden in den Folgejahren durchaus dabei half, erhebliche finanzielle Außenstände zurückzubekommen. Das wiederum blieb für eine jüdische Familie in NS-Deutschland beinahe überlebensnotwendig. Selbstverständlich war Gösmanns Handeln in einer Zeit, in der alle jüdischen Menschen der staatlichen Willkür ausgeliefert waren, tatsächlich nicht. Jeder Schuldner hätte seinem „nicht arischen“ Kreditgeber mit Spott und Schmähungen auf den Lippen jede einzelne Zahlung verweigern können. Der Rechtsstaat war längst abgeschafft.

Aufgrund eines Verstoßes gegen die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ („Hören von ‚Feindsendern“) wurde Felix Löwenstein gegen Kriegsende doch noch in Haft genommen. Man hatte im Keller des von der Familie bewohnten Hauses ein Radiogerät gefunden, dessen Besitz allen Juden streng verboten war. Der genaue Zeitpunkt seiner Inhaftierung im Polizeigefängnis Turnerstraße ist nicht bekannt. Dort saß er – gemeinsam mit seiner Frau und auch anderen Gegnern des NS-Regimes – unter menschenunwürdigen Bedingungen bis Ende 1944 ein.

Danach wurde Löwenstein gemeinsam mit weiteren inhaftierten Männern ins KZ Sachsenhausen nördlich von Berlin deportiert. Das berüchtigte KZ in Neuengamme bei Hamburg wurde zur nächsten Station. Als alliierte Truppen dem Lager zu Beginn des Aprils 1945 zunehmend näherkamen, verordneten die SS-Wächter den Gefangenen eine Umlegung in das KZ Bergen-Belsen. Das Heranrücken der alliierten Truppen zwang die NS-Wächter zu ständigen Umleitungen des mit KZ-Häftlingen gefüllten Güterzuges.

Nach über zehn Tagen Irrfahrt waren die Drangsalierten schließlich in Bremervörde angekommen. Tausende ausgehungerte, verlauste, in gestreifte Lumpen gehüllte und oft barfüßige Menschen bewegten sich im „Todesmarsch“ unter den Augen der Zivilbevölkerung durch den Ort. Das Ziel Sandbostel diente zugleich als Lager für rund 15.000 Kriegsgefangene. Die rund 7.000 KZ-Häftlinge bekamen weitere Baracken zugewiesen und unterlagen einer weit schlechteren Behandlung als die ehemaligen Kriegsgegner. Trost und Zuversicht spendeten den Gefangenen allein die täglich kursierenden Nachrichten, wonach die alliierten Soldaten zunehmend näher heranrückten. Nahender Geschützdonner und Flugzeuge am Himmel schienen alles zu bestätigen.

Am späten Abend des 19. April brach unter den Häftlingen ein Aufstand aus. Von Überlebenden wurde er später als „Hungerrevolte“ bezeichnet. Auslöser war vermutlich der SS-Befehl, wonach alle KZ-Häftlinge wieder zurück nach Hamburg-Neuengamme gebracht werden sollten. Die Häftlinge, mitten unter ihnen auch Felix Löwenstein, widersetzen sich todesmutig der Anordnung. Verzweifelt versuchten sie, ihre erneute Deportation zu verhindern. Nur wenige hundert konnten von der SS und den Wachmannschaften zusammengetrieben werden. Noch während des Appells aller noch marschfähigen KZ-Häftlinge soll es dann zu einem Fliegeralarm gekommen sein.

Im Chaos stürmte ein Teil, unter diesem auch Felix Löwenstein, am Eingang des Lagerteils auf der Suche nach Essbarem die angrenzenden Lagerräume. Der Aufstand wurde von der SS und den Wachmannschaften niedergeschlagen und hunderte Häftlinge dabei ermordet. Exakt zu diesem Zeitpunkt muss sich Felix Löwenstein, der bis dahin alle Torturen leidlich überstanden hatte, eine Verletzung zugezogen haben. Die genauen Umstände, bei denen dies geschah, sind bis heute unbekannt. Fest steht allein: Auch, weil nur ein Arzt für das gesamte Lager anwesend war, konnte der verletzte Löwenstein, wie so viele andere, nicht rechtzeitig behandelt werden.

Am 29. April erreichten die britischen Truppen schließlich als Befreier das Lager. Zu Ehren der Eingepferchten zog ein Musikzug über das Lagergelände. Die Nazi-Bewacher waren meist längst getürmt.

Nur einen Tag später, am 30. April 1945, starb Felix Löwenstein an den Folgen seiner Blutvergiftung. Er wurde in einem Massengrab in Sandbostel beigesetzt. Als nur schwacher Trost verbleibt, dass der Geschundene die Befreiung des Lagers durch die British Army womöglich noch vernehmen durfte.

Kaum anzunehmen ist, dass Felix Löwenstein im Lager jemals Näheres über das Schicksal seiner Familie nach deren Verhaftung erfahren durfte. Seine Frau Anni Löwenstein war, das war ihm noch bekannt, im Juni 1944 ebenfalls im Polizeigefängnis Turnerstraße inhaftiert gewesen. Sohn Max war bereits im April 1944 im Polizeigefängnis Münster eingesperrt worden. Anni wurde am 31. März 1945, vier Tage vor dem Einmarsch britischer Truppen in Osnabrück, aus der Haft entlassen. Mit gleichem Datum entließ man Max Löwenstein aus dem Zwangsarbeitslager. Er, der in den 50er Jahren in großer Verzweiflung mit Selbstmord aus dem Leben scheiden sollte, hatte für die Organisation Todt arbeiten müssen, einer im 2. Weltkrieg nach militärischem Vorbild organisierten Bautruppe. Mutter und Sohn mussten sich nach 1945 noch etliche Jahre lang verzweifelt um eine Entschädigung für ihre Leiden bemühen.

Nach einer langen Phase des Vergessens pflegt der VfL Osnabrück seit einigen Jahren eine umfassende Erinnerung an seinen ehemaligen Spitzenfunktionär: So wurde 2019 ein Weg im unmittelbaren Umfeld des Stadions an der Bremer Brücke nach Löwenstein benannt.

Autor: Heiko Schulze

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