Kennkarte von Dr. Waldemar Spier, Quelle: Fortuna Düsseldorf Archiv

Dr. Waldemar Spier

Geboren am 16.10.1889 in Düsseldorf, Deutschland
Gestorben am 02.03.1945 in Oświęcim, Auschwitz (nach der Befreiung durch die Rote Armee an den Folgen der unmenschlichen Haftbedingungen)
Ermordet im Holocaust
Funktionär
Mitglied des (vermutlich siebnköpfigen) Fußball-Ausschusses der Fortuna ab 1931
Erfolge:
  • Funktionär in Vorbereitung auf den Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1933

Da Fortuna Düsseldorf keine Konfessionserhebung vornahm, war das einzige bis heute nachgewiesene jüdische Mitglied Dr. Waldemar Spier.

Er wurde am 16. Oktober 1889 in Düsseldorf als Sohn von Siegfried, Fotograf und Kaufmann, und Johanna Spier geboren. Bis 1903 besuchte der den Vorgänger des Görres-Gymnasiums, das „Königliche Gymnasium“, das sich auf der Rückseite der Synagoge an der Kasernenstraße befand.

Nachdem sein Vater in Würzburg Mitbesitzer eines Fotoateliers wurde, verzog die Familie nach Unterfranken, wo Waldemar Spier sein Abitur bestand. Ab 1906 begann er an der Julius-Maximilian-Universität ein Studium der Zahnmedizin, das er drei Jahre später mit Examen abschloss.

Während des Ersten Weltkriegs leistete Spier Kriegsdienst als Feldarzt und wurde als Frontkämpfer mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. 1919 kehrte er nach Düsseldorf zurück, wo er spätestens ab 1922 an der Hüttenstraße Nr. 36 eine Praxis eröffnete. 1921 wurde er an der Universität Würzburg zum Doktor der Zahnmedizin promoviert. 1927 befand sich seine Praxis an der Eller Straße 106, ab 1929 ganz in der Nähe, an der Kölner Straße 248, wo er in den kommenden Jahren verblieb.

Die Verbindung von Fortuna und Waldemar Spier lässt sich erstmals in einem Sitzungsprotokoll vom 20. Januar 1931 nachweisen: „Von den aktiven Fußballspielern wurde die Auffüllung des Spielausschusses gefordert. Nach vergeblichen Versuchen verschiedene anwesende Mitglieder hierfür zu gewinnen, sagte nur Herr Dr. Spier seine Mitarbeit zu. Daraufhin wurde dem Spielausschuss anheim gestellt, sich selbst nach geeigneten Mitarbeitern umzusehen und dem Vorstand zur Genehmigung vorzuschlagen.“

Den Spielausschuss gab es spätestens seit 1926, wie aus einem Sitzungsprotokoll jenes Jahres hervorgeht. Der Fußball Spielausschuss setzte sich demnach aus Erich Uhlenberg (Obmann), Fritz Hamacher, Heinrich Porn, Jos. Becker und Franz Hannappel (Beisitzer) zusammen.

Am 25. Juli 1931 wurde Dr. Spier in den von fünf auf sieben Mitglieder erweiterten Ausschuss gewählt: „Den Spielausschuss wählte die Versammlung wie folgt: Dr. W. Spier, H. Bakkers, H. Klein, Th. Miever, H. Meck, J. Hütten, und W. Schommertz.“

Dass Dr. Spier in der Aufzählung als Erster genannt wird, könnte darauf hindeuten, dass er die meisten Stimmen der Kandidaten erhielt, was für eine gewisse Beliebtheit oder den Respekt seitens der Vereinsmitglieder spricht. Noch im Protokoll vom 8. Februar 1933 wird Dr. Waldemar Spier ausdrücklich erwähnt, als er in der Sitzung ausführlich über die sportlichen Erfolge der Ersten und Zweiten Mannschaft der Fortuna berichtet. Wie lange Dr. Spier dem Spielausschuss und dem Verein angehörte, konnte nicht geklärt werden.

Ein Beitrag im „Fortuna-Echo“ von 1955 impliziert zwar, dass Spier mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zurücktreten musste. Für einen faktischen Rücktritt gibt es jedoch ebenso wenig einen Beleg wie für die Behauptung, er sei gezwungen worden, von sich aus bei Fortuna auszutreten.

Dies bestätigt auch der Medizinhistoriker Matthis Krischel von der Heinrich-Heine-Universität, der sich mit der Biographie Spiers intensiv beschäftigt hat. Ebenfalls kein Beleg findet sich für einen aktiven Ausschluss seitens Fortuna – betrieben weder von Mitgliedern noch von der „Führerriege“.

Im Gegenteil: Das Vereinsprotokoll vom 17. Juli 1935 legt die Annahme nahe, dass die Aufnahme eines Arierparagraphen in die Vereinssatzung verhindert wurde - durch den damaligen Vereinsführer Matthias Bakkers. Dem zuvor gegangen war ein Ersuchen des Vereinsmitgliedes Peter Jäger um diese explizite Formulierung, die Bakkers jedoch mit der Begründung abwies, es handele sich um eine vorgegebene Einheitssatzung, die keine Änderung zuließe. Interessanterweise wurde die neue Vereinssatzung dann allerdings doch mit einer Änderung abgefasst: In §2, Absatz 2 findet sich – abweichend von der Einheitssatzung – eine Ergänzung zur konfessionellen Neutralität, die ebenfalls eher gegen einen Ausschluss jüdischer Mitglieder spricht: „Der Verein (Fortuna Düsseldorf) lehnt Bestrebungen klassentrennender und konfessioneller Art ab“.

Erst ab 1940 ist die Aufnahme eines Arier-Paragraphen in der Vereinssatzung der Fortuna im Rahmen einer neuen, verpflichtenden Einheitssatzung nachweisbar. Zu diesem Zeitpunkt dürfte die Aufnahme des Passus‘ unvermeidbar geworden sein.

Dass Dr. Spier ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr dem Spielausschuss angehörte, sollte in dem Kontext betrachtet werden, dass dieses zuvor regelmäßig berücksichtigte Gremium nach der vorgenannten Sitzung im Februar 1933 in den Vereinsprotokollen nie wieder erwähnt wird. Dies könnte ein Indiz für die Auflösung des Ausschusses sein – zumal nicht einwandfrei zu ermitteln ist, welche konkrete Aufgabe der Ausschuss überhaupt hatte oder welche Verantwortung ihm übertragen worden war. Eine weitere Aussage, Dr. Waldemar Spier sei Obmann, also Manager von Fortuna gewesen, kann als falsch ausgeschlossen werden.

Letztmalige Erwähnung erfährt Waldemar Spier in einem Protokoll im Juni 1933, in dem er in einer Liste diverser Schuldner aufgeführt wird: „Abschluss 30. Juni 1933 – Schulden in laufender Rechnung u. a. Dr. Spier 12,-“. Dr. Spiers Anwesenheit beim Endspiel um die Deutsche Meisterschaft der Fortuna am 11. Juni 1933 scheint indes sehr wahrscheinlich, weil ein Glückwunschtelegramm vorliegt, das er in Köln am gleichen Tag um 20:10 Uhr aufgegeben hatte, adressiert an den Ort des Festbanketts, das Hotel Minerva. Somit war Spier zumindest eingeweiht, wo die Mannschaften im Anschluss versammelt waren, auch wenn nicht anzunehmen ist, dass er dort selbst zugegen sein konnte.

Da Dr. Waldemar Spier noch einige Jahre lang die Spiele der Fortuna im Stadion verfolgt hatte, ist es naheliegend, dass er innerhalb des Vereins weiterhin als unbescholten galt. Auch das erste Nachkriegsprotokoll vom 20. Oktober 1945 vermittelt eher einen positiven Eindruck zwischen dem Verein und Dr. Spier, wenn dessen Schicksal und Verdienst – unter Punkt 4 „Verschiedenes“ – explizit Erwähnung finden: „... Sportkamerad Dreide bittet des früheren Vereins-Mitglieds Dr. Spier zu gedenken, der kurz vor Kriegsende in einem Konzentrationslager gestorben ist. Vorsitzender Bakkers holt dies nach und würdigt hierbei die Verdienste des Dr. Spier im Verein. Der Vorschlag, eine Gedenktafel für die Opfer des Vereins usw. zu errichten, wird zunächst wegen Materialmangel und Ungewissheit über einzelne, noch nicht zurückgekehrte Vereinsmitglieder zurückgestellt ...“

In dieser Sitzung wird aller Opfer des Krieges gedacht und insofern stellt die ausdrückliche Würdigung Waldemar Spiers eine Besonderheit dar. Weiteren Personen, wie z.B. dem an der Ostfront gefallenen Meisterspieler Willi Wigold, wird diese Ehre nicht zuteil – oder eine entsprechende Würdigung wurde nicht protokolliert.

Die Hintergründe zum Verhältnis zwischen Dr. Waldemar Spier und Josef Dreide sind jedoch komplex. Denn Dreide, der in einer anderen Quelle auch als Sponsor der Fortuna genannt wird, hatte der Familie Spier im zweiten Halbjahr 1944 ein wertvolles Gemälde abgekauft. Dass dies unterhalb eines marktüblichen Preises erfolgte, Dreide also Nutznießer des Schicksals der Spiers war, ist denkbar, lässt sich aber nicht belegen.

Zwar strengte Gertrude Spier wegen des Gemäldes ein Wiedergutmachungsverfahren an,das sich noch bis 1952 hinzog und in einem Vergleich mündete. Josef Dreide war da aber bereits seit vier Jahren tot. Im Verfahren gab Gertrude Spier die Aussage zu Protokoll: „Sie (Anm.: Wwe. Sophia Dreide) war in der damaligen Zeit, als ich mit meinem Mann (Anm.: Waldemar Spier) um das Notwendigste gerungen habe, die Frau eines Mannes (Anm.: Josef Dreide), der den unter Druckstehenden jüdischen Familien ihre z.T. verbliebenen Werte abkaufte. Ich sage das, ohne dem Toten einen bösen Nachruf einzubringen.“

Gertrude Spier entlastete mit diesen Worten Josef Dreide. Ohne in die Details zu gehen, die für den Sachverhalt von nachrangiger Bedeutung sind, scheint es sich bei dieser Angelegenheit um einen Konflikt gehandelt zu haben, der eher im unmittelbaren Verhältnis zwischen Gertrude Spier und Sophia Dreide angesiedelt gewesen sein könnte.

Für die Jahre zwischen 1933 und 1938 liegen, abgesehen von seiner Heirat mit Gertrude im Juni 1934, keine biographischen Angaben zu Dr. Waldemar Spier vor. Der Eintrag in seiner Gestapo-Akte von Anfang 1939, Spier verhielte sich politisch unauffällig, lässt den Schluss zu, dass er unter Beobachtung stand. Erst ab dem 9. November 1938 werden seine Vita und vor allem seine Verfolgung durch Gestapo-, Gerichts- und Wiedergutmachungs-Akten auf tragische Weise transparent.

In der Pogromnacht wurde auch seine Wohnung von SA- Männern aufgesucht und verwüstet und Spier wurde ins Polizei-Gefängnis Düsseldorf in „Schutzhaft“ überführt. Am 17. November wurde er in das Konzentrationslager Dachau verbracht.

Gertrude Spier konnte, wie Krischel herausfand, eine vorzeitige Haftentlassung zum 7. Dezember erwirken, weil ihr von der Bezirksstelle Düsseldorf der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Deutschlands schriftlich bestätigt wurde, dass die Anwesenheit ihres Mannes in Düsseldorf zwecks Arisierung, also Übergabe seiner Praxis an einen arischen Nachfolger, zwingend notwendig sei.

Das Ehepaar Spier wohnte in der Folgezeit an der Rochusstraße 57 in einem sogenannten Judenhaus, in dem Gertrude Spier schon während der Inhaftierung ihres Mannes eine Wohnung eingerichtet hatte. Es erfolgte die Aberkennung der Approbation, eine Depromotion Dr. Spiers konnte jedoch nicht festgestellt werden. Dr. Spier durfte seine Praxis nur noch mit dem Titel „Jüdischer Zahnbehandler“ weiterführen. Im Adressbuch der Stadt Düsseldorf wurde er allerdings noch bis einschließlich 1940 durchgängig als „Dr., Zahnarzt“ geführt, also auch, als er zuletzt an der Oberkasseler Sonderburgstraße 24 bzw. an der Teutonenstraße gemeldet war. Seinen Telefonanschluss, dessen Nummer sich trotz der Umzüge nicht änderte, durfte er durch eine Sondergenehmigung von August 1940 behalten.

Ohne sein eigenes Zutun wurde Dr. Waldemar Spier 1943 von der Gestapo zum Vorsteher der Jüdischen (Rest-)Gemeinde in Düsseldorf bestimmt.  Suizid, Flucht oder Verhaftung war das Schicksal seiner drei Vorgänger, sodass Dr. Spier um die Gefahr dieses Amtes wusste, das auch ihm letztlich zum Verhängnis werden sollte.

Im März 1944 wurde er – gemeinsam mit seiner Frau – verhaftet und kam ins Gerichtsgefängnis in Derendorf. Man warf ihm vor, er habe von den Fluchtplänen seines Vorgängers als Gemeindevorstand, Braunschweig, der zwischenzeitlich in Wien gefasst worden war, gewusst und diesen gedeckt. Gertrude Spier wurde nach drei Wochen wieder entlassen, Dr. Waldemar Spier am 11. September ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er die Häftlingsnummer 199610 erhielt.

Dr. Waldemar Spier erlebte zwar noch die Befreiung des KZ durch die Rote Armee am 29. Januar 1945, doch die menschenunwürdigen Haftbedingungen hatten ihn an Fleckfieber und Hungertyphus erkranken lassen, an dem er am 2. März 1945 verstarb.

Gertrude Spier lebte bis zu ihrem Tod 1978 in Düsseldorf. Nach dem Ende des Weltkriegs trat sie stellvertretend für ihren verstorbenen Mann in weiteren „Wiedergutmachungsverfahren“ auf und war Zeugin im Strafprozess gegen zwei Gestapo-Beamte, die unter anderem für die Verhaftung und Deportation jüdischer und jüdisch-stämmiger Düsseldorfer verantwortlich gewesen waren.

Dr. Spiers Schicksal wird von der Historikerin Barbara Suchy insofern auch als tragisch eingeordnet, weil er durch seinen Frontdienst im Ersten Weltkrieg, die Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz und seine Heirat mit der Nicht-Jüdin Gertrude Spier, geborene Armenat, im Jahr 1934 zunächst hoffen durfte, zu den Geschützten und „Privilegierten“ zu gehören. Wie so viele andere Jüdinnen und Juden in Deutschland sollte er sich furchtbar irren.

In Gedenken an Dr. Waldemar Spier initiierte Fortuna Düsseldorf mit Unterstützung der AG Fortuna-Geschichte und der Faninitiative Retrospektive 1895 die Verlegung eines Stolpersteines im Sommer 2017 an seinem ursprünglichen Wohn- und Praxissitz an der Kölner Straße 248.

Autor: Tom Koster / Friedrich Schacht

Literaturverweise
"125 Jahre Fortuna Düsseldorf - Geschichte und Geschichten in Rot und Weiß"
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