Ernst Kuzorras erster Führerschein, finanziert von Leopold Sauer. , Quelle: Schalke 04

Leopold Sauer

Geboren am 11.04.1883
Ermordet im Holocaust
Mäzen

Der Metzger Leopold Sauer ist ein begeisterter Anhänger und Förderer des FC Schalke 04. Er hat seinen Anteil daran, dass Vereinslegende Ernst Kuzorra 1927 nicht zum Dortmunder SC 95 wechselt. Selbst nach seinem Vereinsausschluss bleibt er ein Königsblauer. Anlässlich der Meisterfeier 1934 soll er ein lebendiges Schwein, das er zuvor in den Vereinsfarben blau-weiß angemalt hat, beim Triumphzug zum Schalker Markt getrieben haben. Das Dritte Reich wird für ihn zu einem Martyrium. Sein Leben verliert er nur gut zwei Monate vor dem Ende des Weltkrieges. Er wird von den Nazis auf einem „Todesmarsch“ aus dem KZ erschlagen.

Sauer erblickt am 11. April 1883 in Oedt am Niederrhein das Licht der Welt. 1913 zieht er mit seiner Ehefrau Auguste nach Gelsenkirchen und gründet dort eine Familie. Im Februar 1913 wird Tochter Lieselotte geboren, im November 1918 Sohn Werner.

Sauer betreibt als Meister ab 1919 in der Schalker Straße 184 eine eigene Metzgerei. Dem Ladenlokal schließen sich eine Wurstküche sowie Salz- und Pökelräume an. Er beschäftigt etwa 75 Angestellte und erarbeitet sich rasch den Ruf als der billigste Metzger der Stadt – damals ein Qualitätsmerkmal.

Besonders zugetan ist Sauer Schalke 04. Bereits in den 1920er Jahren trifft sich der Vereinsvorstand regelmäßig nach Versammlungen bei Leo Sauer, um ausgiebig zu tafeln. Außerdem unterstützt der Metzger viele Spieler – nicht nur mit Fleisch- und Wurstwaren. So bezahlt er 1927 dem späteren Meisterspieler Ernst Kuzorra den Führerschein und stellt ihn als Fahrer an. Sauer hilft so mit, zu verhindern, dass Kuzorra den Verein verlässt, als ihm ein Angebot vom Dortmunder SC 95 vorliegt.

Nach 1933 ändert sich das Leben für den Juden Leo Sauer dramatisch. Zunächst wird er aus seinem Lieblingsverein ausgeschlossen, jüdische Mitglieder sind nicht mehr zugelassen. Das schmälert seine Begeisterung für Königsblau jedoch nicht, siehe den Einsatz des Schweins bei der Meisterfeier.

Der Metzgereibetrieb gerät zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten, als die Nazis die Bevölkerung dazu aufrufen, jüdische Geschäfte zu boykottieren. Sauer muss Mitarbeiter entlassen. Am Ende bleibt ihm nur noch die Zwangsversteigerung des Hauses. Familie Sauer meldet sich am 22. Oktober 1936 von der Wohnanschrift Schalker Straße 184 ab, Vermerk: „Auf Reisen". Tochter Lieselotte ergreift mit ihrer eigenen Familie die Flucht nach Kenia, ehe sie sich in Südafrika niederlässt.

Die Einwohnerkartei der Stadt Gelsenkirchen verzeichnet die Rückkehr des Ehepaars Sauer mit der Wiederanmeldung am 2. Februar 1937 an der Liboriusstraße 61 im Ortsteil Schalke. Sohn Werner ist ab dem 14. April 1938 in Groß Breesen in Schlesien gemeldet. Dort befindet sich eine nicht-zionistische, landwirtschaftliche Umschulungs- und Ausbildungsstätte für jüdische Auswanderer mit Zielländern außerhalb Palästinas. Am 25. Juli 1938 kehrt Werner jedoch zurück nach Gelsenkirchen in die Wohnung seiner Eltern.

Ab 1939/1940 machen die Nazis aus dem Wohnhaus ein Judenhaus. Sie zwingen andere jüdische Familien ebenfalls zum Einzug. Die Sauers wohnen darin bis zu ihrer Deportation ins Ghetto Riga am 27. Januar 1942. Ein Jahr später bringen die Nazis die Sauers in das Konzentrationslager Kaiserwald in Riga. Als die russische Armee im Herbst 1944 vorrückt, werden die Häftlinge ins KZ Stutthof bei Danzig verschleppt. Auguste Sauer stirbt dort am 14. Dezember 1944.

Werner Sauer muss in der Zeit als gelernter Maurer in einem Arbeitskommando in der Textilfabrik Lenta Zwangsarbeit verrichten. Im August 1944 wird er ebenfalls nach Stutthof gebracht, wo er seine Eltern noch einmal wiedertrifft. Vater und Sohn müssen gemeinsam im Lager Burggraben bei Danzig arbeiten.

Ende Januar 1945 evakuieren die Nazis angesichts des Vormarschs der Roten Armee schließlich auch das KZ Stutthof. Etwa 11.000 Häftlinge sind in Kolonnen von jeweils rund 1.000 bis 1.500 Menschen zu einem Todesmarsch in das etwa 140 Kilometer entfernte Lebork (Lauenburg) gezwungen. Unterwegs zurückbleibende Gefangene, die den Strapazen bei Eiseskälte fast ohne Verpflegung nicht mehr gewachsen sind, erschießen die Wachmänner.

Bei dieser Tortur werden Vater und Sohn für immer getrennt. Die Kolonne, in der sich Leopold Sauer befindet, erreicht das bereits geräumte Zivilarbeiterlager Rybno (Rieben) bei Lebork in Pommern im Februar. Dessen Befreiung am 10. März 1945 erlebt er indes nicht mehr. Nach Aussage seines Sohnes Werner, der sich 1984 zu einem Zeitzeugeninterview in den USA zur Verfügung stellt, wird sein Vater nach einem Fluchtversuch zusammengeschlagen und ist in dessen Folge so entkräftet, dass er schließlich verhungert.

Sohn Werner entkommt während des Marschs, wird jedoch von deutschen Soldaten noch am selben Tag aufgegriffen. Beim Verhör gibt er an, ein deutscher Marine-Deserteur zu sein – eine gestreifte Kappe, die er im Lager gefunden hat und die den Deserteuren als Häftlingskleidung diente, tarnt den Juden. Er kommt zunächst nach Stutthof, muss jedoch wenig später zu einem weiteren Todesmarsch aufbrechen. Erneut gelingt ihm die Flucht. Polnische Bauern verstecken ihn schließlich, bis ihn russische Truppen im März befreien. Jene halten ihn jedoch für einen deutschen Soldaten, bis Werner Sauer ein jüdisches Gebet aufsagen kann. Das rettet ihm das Leben.

Anschließend lebt Werner in Berlin, bis er 1949 in die USA emigriert, wo er sich ein neues Leben aufbauen kann. Die Häftlingskappe, die ihm womöglich das Leben rettete, befindet sich heute im United States Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C.

Autor: Christine Walther / Thomas Spiegel

Literaturverweise
"Spurensuche - Jüdische Schicksale auf Schalke", Gelsenkirchen 2019; Königsblau, Die Geschichte des FC Schalke 04, Gelsenkirchen 2015; Dr. Stefan Goch / Norbert Silberbach, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau: Der FC Schalke 04 in der Zeit des Nationalsozialismus, Gelsenkirchen 2005
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