Quelle: Archives du Departement du Rhône et de la Métropole de Lyon, Lyon

Sigmund Günzburger

Geboren am 20.03.1882 in Freiburg i .Br., Deutschland
1942 in Auschwitz
Ermordet im Holocaust
Funktionär

, Quelle: Stadtarchiv FreiburgDer jüdische Kaufmann Sigmund Günzburger war in den Jahren 1919/1920 für etwa ein halbes Jahr Zweiter Vorsitzender des Sport-Club Freiburg. Schon in den Jahren zuvor – Günzburger war am 7. November 1916 inmitten des Ersten Weltkriegs in den Verein eingetreten – hatte er sich beim SC engagiert und den Club auch finanziell unterstützt. in Günzburgers Zigarren- und Zigarettenhandlung in der Freiburger Innenstadt richtete der Verein seine erste offizielle Geschäftsstelle ein. Zum damaligen Zeitpunkt, sieben Jahre nach der eigentlichen Vereinsgründung 1912, war der Sport-Club die Nummer 2 in der Stadt hinter dem übermächtigen Freiburger FC, hatte aber 1917 mit der Meisterschaft des Oberrheingaus zumindest schon einen ersten regionalen Titel errungen. Nach dem Ersten Weltkrieg verfügte man über keine eigene Spielstätte mehr, hatte keine Infrastruktur und konnte nur durch die Fusion mit den Freiburger Turnvereinen weiter fortbestehen. Der jüdische Zigarrenhändler Sigmund Günzburger war einer derjenigen, die dem Sport-Club nach Ende des Ersten Weltkriegs halfen, seine Vereinstätigkeit weiterzuführen. Bei der Generalversammlung im Mai 1919 wurde Günzburger deshalb für seine „ungewöhnliche Vereinsarbeit auf jedem Gebiet“ ein expliziter Dank ausgesprochen. Am 5. Juli 1919 wurde Sigmund Günzburger sogar zum Zweiten Vorsitzenden gewählt. Günzburger leitet danach verschiedentlich die Vorstands- und Mitgliederversammlungen des Vereins, der damals annähernd 1300 Mitglieder zählte. Weiterhin organisierte er die geselligen Veranstaltungen des Vereins. Seine Funktion als Zweiter Vorsitzender hatte Sigmund Günzburger nur etwa ein halbes Jahr lang inne - bis er 1920 aus bislang nicht ersichtlichen Gründen aus Freiburg wegzog und fortan in Bruchsal lebte.

Ob Sigmund Günzburger auch in den folgenden Jahren in Verbindung zum Sport-Club Freiburg stand, kann aufgrund fehlender Quellen nicht gesagt werden, wahrscheinlich ist es nicht. Insofern beschränkte sich seine Tätigkeit für den Verein wohl nur auf wenige Jahre.

Dennoch sollte sein Wirken als ein bedeutsamer Teil der Vereinsgeschichte begriffen werden und seine Biographie nicht in Vergessenheit geraten.

, Quelle: Archives du Departement du Rhône et de la Métropole de Lyon, LyonSigmund Günzburger wurde am 20. März 1882 als Sohn des jüdischen Viehhändlers Maier Günzburger und dessen Frau Fanny in Freiburg geboren. Er hatte zwei Brüder und eine Schwester. Seit 1916 unterhielt der als Kaufmann ausgebildete Günzburger – wohl in der Nachfolge seines Bruders Julius Günzburger (1883–1969) – ein „Zigarren-, Zigaretten- und Ansichtskarten-Spezialgeschäft“ in Freiburgs wichtigster Einkaufsstraße, der Kaiserstraße.

Im Verlauf des Jahres 1919 verlagerte Günzburger sein Raucherwaren-Geschäft in die Bertholdstraße 27 und warb für sich nun als „Freiburgs Zigaretten- und Zigarrenkönig“. Unterstützt wurde er in der Geschäftsführung offenbar von seinem jüngeren Bruder Siegfried Günzburger (1890–1966), der seinerseits beim Sport-Club zeitweilig den Posten des Schatzmeisters ausfüllte. Das Zigarrenhaus Günzburger diente jetzt gleichzeitig als erste offizielle Geschäftsstelle des Sport-Club. Allerdings betrieben die Gebrüder Günzburger ihr Geschäft in der Bertholdstraße nur für eine kurze Zeit: Die Amtsakten melden, dass die Firma schon im Januar 1920 erloschen ist. Die Vermutung liegt somit nahe, dass die Geschäfte bei den Gebrüdern Günzburger nicht besonders gut liefen.

Sigmund Günzburger verzog daraufhin nach Bruchsal in Nordbaden, wo er einen Handel mit Südfrüchten und Lebensmitteln aufzog und im Juni 1922 seine – nichtjüdische – Frau Anna (geb. Merkle, aus Haslach im Kinzigtal) heiratete. In dieser Zeit erkrankte Günzburger und kam 1926 wieder zurück nach Freiburg. Es deutet einiges darauf hin, dass ihn seine Geschäftstätigkeit in Bruchsal in den beruflichen und finanziellen Ruin geführt hatte. Denn unmittelbar nach seiner Rückkehr setzte bei Günzburger ein massiver wirtschaftlicher und sozialer Abstieg ein: Aus dem vormaligen „Zigarrenkönig“ war in wenigen Jahren ein Fürsorgeempfänger geworden, der beruflich nicht mehr richtig Fuß fassen konnte, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten musste und kaum noch über nennenswerte Einkünfte verfügte. Zu den beruflichen Schwierigkeiten kamen private Veränderungen und Schicksalsschläge: Im März 1927 verstarb seine erste Ehefrau Anna. Es folgte schon im Juli desselben Jahres eine zweite Heirat mit der aus Segeten bei Bad Säckingen stammenden und zwanzig Jahre jüngeren Berta Stoll. Ein gemeinsames Kind aus dieser Verbindung verstarb kurz nach der Geburt. Günzburger verdingte sich zu Beginn der 1930er Jahre als Versicherungsvertreter, musste jedoch permanent vom Fürsorgeamt unterstützt werden.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 verschlechterte sich Günzburgers ökonomische Lage noch mehr. Er hatte nun als Jude kaum noch eine Möglichkeit, eine auskömmliche Arbeitsstelle zu finden. Bis 1935 arbeitete Günzburger weiterhin als Versicherungsagent mit einem sehr geringen Verdienst. In seinen Mitteilungen an die Amtsstellen aus dieser Zeit gab Günzburger an, sich noch nicht einmal mehr selbst Kleider kaufen zu können. Er und seine Frau lebten in einer ärmlichen Wohnung am Rande des Existenzminimums. Laut seinen eigenen Aussagen als auch denen seiner Frau wurde Günzburger im Jahr 1935 aus politischen Gründen entlassen. Er soll sogar als Anhänger der Sozialdemokratie längere Zeit im badischen Konzentrationslager Kislau gefangen gewesen sein.

Zuletzt war Sigmund Günzburger als Hilfsarbeiter bei einer Freiburger Möbelfabrik tätig, wo ihm im August 1938 als „Nichtarier“ erneut gekündigt wurde.

Es ist nur schwer vorstellbar, dass Günzburger in den Jahren nach seiner Rückkehr aus Bruchsal noch in irgendeiner Weise für den Sport-Club Freiburg aktiv war, es fehlen hierzu jedenfalls jegliche Hinweise. Auch in den Vereinspublikationen taucht sein Name nicht mehr auf.

Sigmund Günzburger erhoffte sich schließlich, durch eine Auswanderung nach Frankreich seine Lebenssituation verbessern zu können. Ende August 1938 ließ er sich deshalb zunächst in Straßburg nieder, während seine Ehefrau Berta in Freiburg zurückblieb. Günzburger verfügte weiterhin über keine nennenswerten Einkünfte und wurde von der Jüdischen Gemeinde in Straßburg unterstützt. Ab Mai 1939 lebte er in Lyon, wo ihm erneut von jüdischen Organisationen geholfen werden musste. Auch in Frankreich gelang ihm somit nicht der erhoffte Neuanfang – sondern es kam noch schlimmer: Als deutscher Staatsbürger wurde Sigmund Günzburger im September 1939 nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von den Franzosen festgenommen und interniert. Man brachte ihn zunächst in ein Lager in der Ortschaft Loriol-sur-Drôme im Departement Drôme, das dort auf dem Gelände einer früheren Chemiefabrik eingerichtet worden war. Von Loriol wurde der inzwischen 58-jährige Günzburger im Herbst 1940 in das Internierungslager Gurs in den Pyräneen verbracht. Es folgte eine zweijährige Internierung in Gurs, wohin auch deportierte Juden aus Deutschland gebracht wurden, unter anderem die von der Oktoberdeportation 1940 betroffenen badischen und pfälzischen Jüdinnen und Juden. Mehrere Anträge Günzburgers auf Freilassung wurden von den französischen Behörden abgelehnt. Günzburgers Vater Maier Günzburger war ebenfalls nach Gurs deportiert worden, er verstarb dort im November 1940.

Im August 1942 begannen die Nationalsozialisten mit der Deportation der Juden aus Gurs in die Vernichtungslager: Die Jüdinnen und Juden wurden dazu zunächst im Lager Rivesaltes, etwa 400 km entfernt am Mittelmeer gelegen, gesammelt. Am 28. September 1942 verließ Sigmund Günzburger mit dem letzten ausgehenden Transportzug das Lager Rivesaltes in Richtung des Durchgangslagers Drancy bei Paris. Von Drancy aus wurde Günzburger zusammen mit 1000 anderen Jüdinnen und Juden am 4. November 1942 mit dem Transport Da 901/35 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Es ist davon auszugehen, dass der 60-jährige Sigmund Günzburger unmittelbar nach seiner Ankunft in Auschwitz ermordet wurde.

Im Umfeld des SC Freiburg wurde die Frage nach möglichen jüdischen Vereinsmitgliedern erstmals im Jahr 2014 gestellt. Sigmund Günzburgers Bezug zum Verein und seine bis dahin vollkommen unbekannte Lebensgeschichte kamen 2016 im Zusammenhang mit der Konzeption einer Stadtführung zur SC-Geschichte zum Vorschein. Den Anstoß lieferte ein Hinweis auf die als erste offizielle SC-Geschäftsstelle verwendete Zigaretten- und Zigarrenhandlung „S. Günzburger“.

2019 folgten die ersten Berichte über den ehemaligen jüdischen Vereinsfunktionär in den Vereinsmedien des SC, im Jahr darauf erschien ein ausführlicher Bericht in der lokalen „Badischen Zeitung“. 2021 beschäftigten sich zwei Freiburger Schülerinnen im Rahmen des Geschichtswettbewerbs der Körber-Stiftung mit Günzburger und produzierten einen Kurzfilm über seine Biographie und sein Schicksal. Auch in der Freiburger Fanszene ist sein Name inzwischen ein Begriff.

Auf diese Weise ist der ehemalige Zweite Vorsitzende Sigmund Günzburger wieder ins Vereinsgedächtnis des Sport-Club Freiburg zurückgekehrt, aus dem er sehr lange Zeit völlig verschwunden war. Zu bedenken ist dabei jedoch, dass Günzburger vermutlich nur eine vergleichsweise kurze Zeitspanne im Verein aktiv war und man seine vereinsgeschichtliche Rolle deshalb nicht überbewerten sollte. Gleichwohl war der jüdische Kaufmann Sigmund Günzburger in seinen Jahren beim SC nicht unwesentlich daran beteiligt, dass die Geschichte des Sport-Club Freiburg während und nach der Zeit des Ersten Weltkriegs weitergehen konnte.

Autor: Uwe Schellinger

Literaturverweise
Archiv des SC Freiburg: Protokollbuch 1912–1919, Archives du Departement du Rhône et de la Métropole de Lyon/Lyon: Dossier Nr. 60033 – Cote 829W210, Der jüdische Vizepräsident des SC. In: Heimspiel. Das Stadionmagazin des SC Freiburg/26.1.2019/S. 11, Beate Klarsfeld/Serge Klarsfeld: Le Mémorial de la Déportation de Juifs de France. Paris 1978, Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau: Transportlisten, Stadtarchiv Freiburg: Geburtsregister, Staatsarchiv Freiburg: G 540/5 Nr. 785, Staatsarchiv Freiburg: G 540/5 Nr. 15027, Staatsarchiv Freiburg: F 196/2 Nr. 212, Barbara Vormeier: Die Deportierungen deutscher und österreichischer Juden aus Frankreich (1942-1944). Paris 1980, David Weigend: Tod eines Zigarrenkönigs. In: Badische Zeitung vom 22.1.2020.
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