Über die verbindende Kraft des Fußballs

Es klingt wie ein Märchen, wenn man zum ersten Mal vom „Kleinen Frieden im Großen Krieg“ hört. Doch was zunächst unglaublich erscheint, ist eine wahre Begebenheit aus dem ersten Weltkrieg: An den Weihnachtsfeiertagen des Jahres 1914 kletterten englische und deutsche Soldaten aus den Schützengräben an der Westfront, sangen gemeinsam, feierten gemeinsam – und spielten miteinander Fußball. | Lesung und Gespräch über den Weihnachtsfrieden 1914

#bild#Journalist Michael Jürgs, Museumsdirektor Manuel Neukirchner und Ruhr Nachrichten-Chefredakteur Hermann Beckfeld kamen gestern Abend im Deutschen Fußballmuseum über die Ereignisse vor über hundert Jahren und die große politische Kraft des Fußballs ins Gespräch.

Der sogenannte „Weihnachtsfrieden“ war in all den Büchern über den Krieg nur ein kleiner Absatz. Jürgs wollte ihm mehr Platz einräumen und fing an zu recherchieren. Aus einer vermeintlich kleinen Geschichte entstand so das Werk Der kleine Frieden im Großen Krieg: Westfront 1914: Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten. Das Buch wurde zum Bestseller, in viele Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt („Merry Christmas“).

Im gut besuchten N11 Restaurant des Deutschen Fußballmuseums liest der Autor den über fünfzig Gästen mit eindrücklicher Stimme daraus vor. Er schildert, wie Männer inmitten all der Grausamkeiten des Krieges gemeinsam „Stille Nacht“ sangen. Ein Konzert aus tausenden von Männerkehlen, im Kerzenschein – und über allem der Grundsatz: „Do not shoot.“

#bild#Museumsdirektor Neukirchner hakt nach: „Das klingt nach einem Stück gelebter Menschlichkeit. Verfeindete Parteien verbrüdern sich auf dem Schlachtfeld. Welche Rolle hat der Fußball tatsächlich gespielt?“ Fußball, da sind sich die Gesprächsteilnehmer einig, ist nicht per se völkerverbindend und friedensstiftend. 1914 kam vieles zusammen, was letztlich zum Weihnachtswunder führte: Die Soldaten waren seit Monaten in den Schützengräben. Es war kalt, es war Weihnachten. Diese besondere Stimmung trug dazu bei, dass im Vorhinein auch schon mehr passiert war. Die Soldaten hatten sich gegenseitig Fotos ihrer Familien gezeigt und Schokolade gegen Würstchen getauscht. Die Gefallenen wurden gemeinsam beerdigt, die Leichen abtransportiert.

#bild#Und dann kam der Vorschlag: „Lasst uns morgen Fußball spielen.“ Die Felder steckten sie mit Konservenbüchsen und Pickelhauben ab, Bälle wurden flugs aus Stroh und Draht zusammengeflickt. Fußball spielen am Boxing Day – die Idee kam von den Engländern. Dazu Jürgs: „Fußball war damals noch der Sport der unteren Klasse. Sie hat sich besser verstanden als beispielsweise der Rang der Offiziere.“ Die Befehle ihrer Vorgesetzten haben sie dabei ignoriert, doch oft handelten sie sogar mit deren ausdrücklicher Erlaubnis.

Es war wirklich ein Wunder: Wenn einer hinfiel, wäre er am Tag vorher noch erschossen worden. In diesen entrückten Stunden wurde ihm aufgeholfen und weitergespielt. „Der Fußball war den Soldaten wichtiger als der ihnen eingebläute Hass“, resümiert Jürgs.

In England wurde über den Weihnachtsfrieden damals in den Zeitungen berichtet – in Deutschland nicht. Der Deutsche an sich kämpft. Er spielt nicht Fußball, so die vorherrschende Meinung.

Und sie spielten, als ginge es um ihr Leben. Letztlich trifft es das, denn bei einigen war es eine der letzten Aktionen ihres Daseins. Nur kurz darauf ging das barbarische Schlachten weiter. Bereits am 26. Dezember wurde an den meisten Frontabschnitten im heutigen Belgien und Nordfrankreich wieder geschossen. In den folgenden Jahren wiederholten sich die Ereignisse von 1914 nicht, weil die Befehlshaber mit schweren Strafen drohten. Immerhin wurden die Teilnehmer des Weihnachtsfriedens nicht zur Rechenschaft gezogen.

Was bleibt: Für einige glückliche Stunden verwandelten sich die Schlachtfelder in Spielfelder, die Menschlichkeit siegte über die Barbarei.

#bild#RN-Chefredakteur Hermann Beckfeld stellt den aktuellen Bezug her und erinnert daran, wie wichtig es ist, Zeichen gegen das Vergessen zu setzen. Auch heute sind die politischen Zeiten nicht einfach. Eine Begebenheit, die sich erst kürzlich in Dortmund zutrug, verdeutlicht dies: Die evangelische Stadtkirchen-Pfarrerin Susanne Karmeier ließ eine provokative Neonazi-Aktion, die sich mit Parolen und Pyrotechnik auf dem Turm der Reinoldikirche abspielte, am vergangenen Freitagabend mit dem Geläut der Glocken übertönen. Als Zeichen des Widerstands gegen des Hass.

Das ist wiederum kein Sport. Aber gerade im Fußball gibt es viele Beispiele für politische Statements, und sei es in Form von Integration. Eines ist den Aktionen gemeinsam: Es ist Frieden von unten. In Zeiten wie diesen wünscht man sich das öfter. In diesem Sinne wünscht das Team des Deutschen Fußballmuseums Ihnen Frohe Weihnachten.

Fotos: Stephan Schütze

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