Der Fußball im Ruhrgebiet – wie sieht er eigentlich genau aus? Wie eine gelbe Wand, ein blauweißes Fahnenmeer oder eher wie rußschwarze Kumpel auf roter Asche? Feststeht: Der Mythos ist ein Mosaik aus vielen Einzelbildern. Exakt 443 davon haben das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund und das Ruhr Museum auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen in den vergangenen Monaten zusammengetragen und daraus eine Sonderausstellung konzipiert – als erste Gesamtschau zum Ruhrgebietsfußball.
Die Fotos aus Vergangenheit und Gegenwart sind elf Themenbereichen zugeordnet und stammen von namhaften und auch weniger bekannten Urhebern, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln dem Mythos und der Moderne des Revierfußballs nähern. Hinzu kommt die individuelle Perspektive der Ausstellungsgäste. Erinnerungen werden geweckt an den ersten Stadionbesuch, an die Idole der Kindheit, an Triumphe und Tragödien, an Momente der besonderen Solidarität, an ein Lebensgefühl, das sich auch heute noch aus dem Rhythmus der Spieltage speist.
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Die Ausstellung des Deutschen Fußballmuseums und des Ruhr Museums ist die erste fotografische Sonderausstellung zur Geschichte des Ruhrgebietsfußballs. Mehr als 450 klassische, aber auch noch nie gezeigte Fußballmotive kommen aus dem großen Fotoarchiv des Ruhr Museums sowie von bekannten Fotografinnen und Fotografen wie Andreas Gursky und Roland Wirtz, von renommierten Fotoagenturen und aus den Archiven der Städte und Vereine. Die zwei Epochen Mythos und Moderne werden dabei jeweils in elf Themen präsentiert und gegenübergestellt: Lebensgefühl, Auf dem Platz, Revierderbys, Triumphe und Tragödien, Legenden und Idole, Orte des Geschehens, Stadionbesuch, Auf Asche, Am Spielfeldrand, Solidarität und Kommerzialisierung.
Kinder auf Wiesen mit provisorischen Toren vor Industriebrachen, Fans auf dem Weg zum Stadion an der Trinkhalle – das Wechselspiel zwischen Mensch, Landschaft und regionalen Landmarken lässt ein Bild entstehen, in dem Nostalgie und gegenwärtige Begeisterung ineinander übergehen. Vor diesem Hintergrund bilden Mythos und Moderne keine Gegensätze, sondern erzeugen mit der individuellen Perspektive des Betrachtenden ein lebendiges Kaleidoskop des Fußballs im Ruhrgebiet. In einem Seitenkabinett zeigt das Deutsche Fußballmuseum zudem Highlight-Exponate zum Thema aus seiner Dauerausstellung, u.a. das Original-Trikot von Helmut Rahn aus dem WM-Endspiel von 1954.
Prof. Heinrich Theodor Grütter, Museumsdirektor des Ruhr Museums und Vorstandsmitglied der Stiftung Zollverein: »Unsere Ausstellung präsentiert mit faszinierenden Fotografien die Vergangenheit und Gegenwart einer der aufregendsten Fußballregionen in Deutschland.«
Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums: »Wissenschaft, Kultur, Technologie und Innovationen sind die großen Treiber und Perspektivgeber für eine Region, die sich – auch das wird in unserer Fotoausstellung eindrucksvoll dokumentiert – in den vergangenen Jahrzehnten transformiert und neu definiert hat. Der Fußball als Identitätsstifter ist dabei zur verlässlichen Konstante geworden. Er ist für die Menschen da, gerade im Ballungsraum Ruhrgebiet mit seinen vielfältigen Formen des kulturellen Austauschs, mit seinen rund fünf Millionen Menschen aus 170 Nationen.«
Otto Rehhagel (Trainerlegende): „Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit. Die Weltmeister von h1954 um Helmut Rahn waren die Idole meiner Jugend. Ihnen wollte ich unbedingt nacheifern.“
Bernard Dietz (Europameister 1980): „Als Kinder sind wir immer hinter dem Ball hergerannt. Und wenn ich mal ins Stadion mitgenommen wurde, habe ich hinterher jedes Mal gedacht: Einmal vor so vielen Menschen Fußball zu spielen – das wär’s. Dass mir das als kleiner Junge aus Bockum-Hövel gelungen ist, macht mich stolz."
Hermann Gerland (Trainerlegende): „Mich zieht es immer wieder ins Ruhrgebiet, weil es hier am schönsten ist. Der Fußball ist in den vergangenen Jahren woanders erfolgreicher. Als Kinder des Ruhrgebiets gab es für uns früher nichts Schöneres als Fußball zu spielen.“
"Mythos & Moderne" ist eine Ausstellung des Deutschen Fußballmuseums und des Ruhr Museums. Ort der Sonderausstellung ist Zollverein in Essen. Durch die Kooperation beider Museen ergeben sich für dich mehrere Vorteile:
Bei Fragen hilft dir das Ticketing-Team unter ticketservice@fussballmuseum.de gerne weiter.
Am 7.5.2023 haben zahlreiche Ikonen des Ruhrgebiets-Fußballs und Vertreterinnen und Vertreter aus Sport, Politik und Kultur die neue Sonderausstellung eingeweiht. Hier lest ihr eine Reportage zum Abend.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte den richtigen Riecher. „Das wird ein perfekter Ruhrgebietsabend.“ Kurz zuvor hatte der Ruhrkohle-Chor zum Einstieg in die stimmungsvolle Veranstaltung inbrünstig das Steigerlied zum Besten gegeben. Und nun veranlasste „die Aussicht auf eine Currywurst“ und der Fußball als zentrales Gesprächsthema das Stadtoberhaupt zu seiner optimistischen Sicht auf das Bevorstehende. Das Ambiente trug sein Übriges dazu bei. In der eindrucksvollen Kulisse des Weltkulturerbes Zeche Zollverein waren 700 geladene Gäste zusammengekommen, um die Eröffnung der Sonderausstellung „Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“ feierlich zu begehen.
Dass der tagesaktuelle Ruhrgebietsfußball ebenfalls die Stimmung hochschnellen ließ, hatten die vielen BVB-Sympathisanten in Halle 5 des imposanten Geländes zwar gehofft, in der Ausprägung aber sicher nicht erwartet. Moderator Sven Pistor, bekannt aus der WDR 2-Sendung „Liga live“ hatte dazu aufgefordert, auch während des laufenden Bühnenprogramms die Zwischenstände aus dem Signal Iduna Park kundzutun, wo die Dortmunder im Duell gegen den VfL Wolfsburg zeitgleich ihre große Meisterschaftschance wahren wollten. Das gelang bekanntermaßen eindrucksvoll, weshalb bis zum Endstand von 6:0 mehrfach der „Tor!“-Schrei durch den Saal tönte.
Natürlich sehr zur Freude von Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal, der in der Euphorie eine bemerkenswerte Einladung aussprach: „Wenn der FC Schalke mit einem Sieg bei den Bayern in der kommenden Woche den BVB am Ende zum Deutschen Meister gemacht haben sollte, lade ich die aktuelle Schalker Mannschaft dazu ein, sich in das Goldene Buch der Stadt Dortmund einzutragen.“ Dabei verwies er auf das historische Vorbild für diese Geste: „Als Schalke 1934 erstmals Deutscher Meister wurde, hat die Mannschaft auf der Rückfahrt vom Endspielort Berlin für einen Empfang im Rathaus Station in Dortmund gemacht.“ Damit war die Brücke zum Ausstellungsthema „Mythos und Moderne“ geschlagen.
Sinnbildlich dafür stand ein weiteres Spielergebnis vom Tage, das Sven Pistor verkünden konnte: Die Spvgg. Erkenschwick, einst einer der großen Vereine der legendären Oberliga West in den 1950er-Jahren, hatte am Nachmittag mit einem 3:0-Sieg gegen Borussia Emsdetten den Aufstieg in die inzwischen fünftklassige Oberliga so gut wie perfekt gemacht. Erkenschwick, das für die enge Symbiose von Bergbau und Fußball steht, auf die Manuel Neukirchner in seinem Einführungsvortrag einging. Der Direktor des Deutschen Fußballmuseums erinnerte an die großen Fußball-Idole des Ruhrgebiets Ernst Kuzorra und Helmut Rahn, die beide in Bergarbeiterfamilien aufgewachsen sind und die Maloche unter Tage selbst erlebt haben. „Die Zechenbetriebe“, so Neukirchner, „waren die großen Unterstützer, die Spielflächen, Trikots und Bälle zur Verfügung stellten, damit sich die Kumpel auch über Tage solidarisierten. Nach der Maloche begann die zweite Schicht – auf den Rasen- oder Aschenplätzen und auf den Rängen, wo sich die große Familie der kickenden Kumpel einfand. Im Schlagschatten der Schlote entstanden die Klubs, der Pütt wurde zur Heimat: die ‚Zeche Emscher‘ für Rot-Weiss Essen, ‚Consolidation‘ für Schalke, ‚Mont Cenis‘ für den SV Sodingen, ‚Zollverein‘ für die Sportfreunde Katernberg, ‚Nordstern‘ für die ‚Emscherhusaren‘ der STV Horst.“ Und die ‚Zeche Ewald Fortsetzung‘ eben für die Svgg. Erkenschwick. Ruhr-Museums-Direktor Professor Heinrich Theodor Grütter beschwor bei seiner Begrüßung diese Zeiten wieder herauf, indem er feststellte. „Das Herz des Fußballs schlägt endgültig wieder im Ruhrgebiet, wenn der FC Schalke und der VfL Bochum die Klasse erhalten und der BVB Deutscher Meister wird.“ Theo Grütter hat schon unzählige Ausstellungseröffnungen vorgenommen. „Wenn es dabei um das Thema Fußball geht, verwandelt sich Routine schnell in eine besondere Emotionalität.“ DFB-Präsident Bernd Neuendorf behielt nicht zuletzt qua Amtes das große Ganze im Blick: „Die obersten drei Ligen, die natürlich viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, umfassen gerade einmal 56 Mannschaften. An der Basis haben wir aber über 24.000 Vereine, in denen sich unzählige Menschen ehrenamtlich engagieren. Darauf können wir, gerade auch hier im Ballungsraum Ruhrgebiet, sehr stolz sein.“ Den Fußball als Unterstützer insbesondere auch für die Entwicklung junger Menschen zu nutzen, ist das Anliegen von Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Vorstandsmitglied der RAG Stiftung. „Wie die Bewältigung der Bergbaufolgen ist auch die Förderung von Kindern und Jugendlichen eine Ewigkeitsaufgabe. Und dabei spielt der Fußball eine wichtige Rolle, der es in einzigartiger Weise vermag, junge Menschen mitzunehmen und ihnen zu vermitteln, dass nicht der Einzelne gewinnt, sondern Erfolg eine Gemeinschaftsleistung ist.“ Ina Brandes, Ministerin für Kultur- und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen war es schließlich vorbehalten, ganz gezielt die Neugier und Vorfreude auf die Sonderausstellung zu wecken. „Ich unterstütze gerne Kulturveranstaltungen, von denen möglichst viele Menschen etwas haben. Das ist bei dieser Fotoausstellung der Fall, in der sich unterschiedliche Generationen wiederfinden.“
Und dann ging es hinüber in die ehemalige Kohlenwäsche der Zeche Zollverein, in der die Sonderausstellung verortet ist. Und mittendrin in der Menge der Premierengäste etliche Legenden, die den Ruhrgebietsfußball maßgeblich mitgeprägt haben. „Das Ruhstadion war 16 Jahre lang mein Wohnzimmer“, erzählt der 518-malige Bundesligaspieler des VfL Bochum Michael „Ata“ Lameck. „Der Fußball ist bis heute mein Leben.“ Für seinen langjährigen Mannschaftskameraden Hermann Gerland, der in Bochum-Weitmar aufgewachsen ist, gilt das Gleiche. „Als Kinder gab es für uns nicht Anderes und nichts Schöneres als Fußball zu spielen. Bis in die Abendstunden hinein, allenfalls unterbrochen durch das Mittagessen.“ Inzwischen lebt Gerland seit vielen Jahren in München und ist dort insbesondere durch seine herausragende Förderung von Spielern wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller zu Weltklassefußballern zum Kulttrainer geworden. „Am schönsten war und ist es aber im Ruhrgebiet.“
Und das, obwohl viele Ausstellungsfotos der Region nicht unbedingt schmeicheln. Schlammige Aschenplätze hier, holprige Bolzplätze vor rauchenden Schloten dort. Der Mythos verwandelt Tristesse in Perlen der Erinnerung. Und scheinbar auch unbändigen Kampfgeist in große Fußballkunst. So sagt nach dem Rundgang ein Besucher zu seinem Kumpel: „Herman Gerland und die anderen – verstehse – die haben damals den Rasen umgepflügt.“ Gerlands Geheimnis in Umgang mit Talenten kennt er auch: „Der hat denen einfach gesagt, wat Sache is, wie man dat im Ruhrpott halt so macht.“
Neben den vielen eindrucksvollen Bildern aus Vergangenheit und Gegenwart sind auch einige Exponate aus dem Deutschen Fußballmuseum zu sehen. Vor dem Original-Trikot von Helmut Rahn aus dem WM-Endspiel von 1954 steht beinahe ehrfürchtig ein Mann, der selbst zu den ganz Großen des Ruhrgebietsfußball zählt. „Die Helden von Bern und Rot-Weiss Essens Meisterspieler von 1955 um Helmut Rahn waren die Idole meiner Jugend. Ihnen wollte ich unbedingt nacheifern“, blickt Otto Rehhagel zurück. Wie kaum ein anderer kann der inzwischen 84-Jährige von jenen Zeiten schwärmen. Inzwischen selbst Legende hören ihm viele der Anwesenden fasziniert zu.
Unweit davon steht ein weiteres Idol des Ruhrgebietsfußballs vor seinem eigenen Porträt und erinnert sich: „Als Kinder sind wir immer hinter dem Ball hergerannt. Und wenn ich mal ins Stadion mitgenommen wurde, habe ich hinterher immer gedacht: Einmal vor so vielen Menschen Fußball zu spielen – das wär’s. Und dass mir das als kleiner Junge aus Bockum-Hövel gelungen ist, macht mich stolz.“ Den kleinen Jungen namens Bernard Dietz – so zeigt es das überdimensionale Bild – haben sie Jahre später, am 5. November 1977, auf den Schultern aus dem Stadion getragen, nachdem er als Verteidiger beim 6:3 seines MSV Duisburg gegen Bayern München vier Tore erzielt hatte.
Die Erinnerung der Legenden, die Fotos zu Mythos und Moderne, das beeindruckende Ausstellungsambiente, die Aussicht auf Currywurst und Pilsken – ja, es ist der perfekte Ruhrgebietsabend geworden, wie ihn OB Kufen prognostiziert hatte. Und auch zukünftige Besucherinnen und Besucher der Ausstellung werden sich nur schwerlich dem Eindruck verschließen können, den Ministerin Ina Brandes nach ihrem Rundgang mit nach Hause nahm: „Die Seele des Ruhrgebiets ist der Fußball.“